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MEXIKO ERLEBEN Die Vögel

Tag Zwanzig

Es regnet seit Stunden heftig in Catemaco, ein Umstand, der mir endlich etwas Zeit verschafft, um mein Reisetagebuch auf den neuesten Stand zu bringen.

 

20 Tage sind wir nun schon unterwegs.

Nach Quecholac, Tecamachalco, dem kleinen Dörfchen San Simón und einer Unterbrechung von einigen Tagen, um das Schaltgetriebe des Aztek nach einem Defekt wieder in Ordnung zu bringen, konnten wir unsere Reise fortsetzen, die uns weiter nach Tlacotalpan und an die Küste von Veracruz führte.

 

Seit gestern sind wir auch wieder mit der Außenwelt verbunden, denn in den Tagen in der kleinen Fischersiedlung Aroyo de Liza blieben die Uhren stehen.

Keine Telefonverbindung, kein Internet, dafür mussten wir ins nahegelegene Dorf, wo es eine Tienda gab, in der man über Festnetz eventuelle dringende Gespräche erledigen konnte.

 

So blieb noch mehr Zeit, die Schönheit der außergewöhnlichen Landschaft zu genießen und unser Forschertrieb war noch wacher als sonst.

 

Der Küsten – und Landschaftsstreifen zwischen Salinas und Costa de Oro liegt am östlichen Ende eines Gebietes, das als Los Tuxtlas bekannt ist und zählt in dieser Gegend zu den vom Tourismus kaum berührten Landstriche Mexikos.

 

 

 

Das Landschaftsbild ist vulkanisch, besonders hügelig und mit einer unglaublich dichten Vegetation beschenkt, die auf das reiche Vorkommen von Flüssen und Lagunen und das günstige Klima zurückzuführen ist.

 

 

Kuh, Stier, Ochs, Pferd & Schweinderl

 

Der Vergleich mit einigen Szenerien von "Jurrasic Park" ist bestimmt nicht übertrieben.

 

Die Dinosaurier fehlen, aber die üppig grüne und mit dichter Vegetation ausgestattete Szenerie ist ausstaffiert mit einer Vielzahl von Kühen, Stieren, Ochsen, Pferden, Eseln und Schweinen, die mit einer beneidenswerten Gelassenheit über die saftigen Weiden ziehen und vom üppigen Nahrungsangebot hier profitieren.

 

 

In erster Linie bewegen wir uns hier auf schmalen ausgetretenen Pfaden, die ausschließlich von Kuhhirten genutzt werden.

 

Sie führen, entlang der sanften Hügel, verschlungen durch diese herrliche Landschaft, und ermöglichen den Zugang zu einsamen jungfräulichen Stränden, die sich entlang der Küste auffädeln.

 

Die Luft ist feucht und schwül, wird jedoch vom ständig wehenden Wind permanent erfrischt und erleichtert unseren Fußmarsch auf dem Weg zu neuen Entdeckungen.

 

 

Manchmal haben wir besonderes Glück und bekommen einige der bunten Phantasievögel zu sehen, deren außergewöhnlicher Gesang uns ständig begleitet.

 

Ihr Federkleid ist rot, blau oder intensiv gelb gefärbt, schade ist nur, dass sie sehr scheu und vor allem flink sind, so dass es unmöglich ist, sie mit der Kamera einzufangen.

 

Wenigstens mit den Schmetterlingen haben wir etwas mehr Glück, wie mit diesem wunderschönen Morfo Azul, der im Sonnenlicht in einem intensiven Türkis schimmert.

 

 

Versteckte Strände für Verliebte

 

Die sogenannte Roca Partida trennt die Fischersiedlung Aroyo de Liza von den nachfolgenden kleinen Buchten, wie zum Beispiel Playa Escondida,dem versteckten Strand und Playa Ensenada.

 

Auf einem der Hügel, die wir entlang der Küstenlinie überqueren, lassen wir uns nieder, wir wollen hier etwas filmen und die Szenerie festhalten, die einfach unglaublich schön ist.

 

Es gibt auffällig viel "Flugverkehr" hier, eine Vielzahl von Meeres – und Lagunenvögeln umkreisen uns und ziehen immer wieder übers Meer zu einer kleinen Insel, die sich nun in unser Blickfeld schiebt.

 

Immer wieder ziehen neugierige Prachtfregatvögel nur wenige Meter über unsere Köpfe hinweg.

 

Aufgrund ihrer scherenartigen Schwanzfedern werden sie von den Einheimischen hier als "ticheretos", Scherenvögel, genannt.

 

Eduardo und ich haben dieselben Gedanken, wie sehr würde es uns reizen, auf diese Insel zu gelangen!

 

 

Die Brennweite meines Objektivs reicht bei weitem nicht, um Details aus dieser Entfernung auszumachen und so muß ich mich damit begnügen, den Vogelschwarm, der sich über der Insel im sanften Wind bewegt, aus der Ferne einzufangen.

 

Drei Fischer & ein Boot

Obwohl wir schon etwas müde sind, beschließen wir doch noch, uns den angrenzenden Strand, La Playa Toro Prieto, anzusehen, der schon von oben einfach wunderschön aussieht.

 

Ein breiter Sandstreifen trennt hier das Meer von einen schmalen Fluss, an dessen Mündung Pelikane von kleinen Fischen profitieren, die die Strömung des Flusses mit ins Meer zieht. 

 

Hier treffen wir auf drei Fischer, die ihre Lancha vorbereiten und aufs Meer hinaus wollen, um ihr Netz einzuholen.

 

Ihr Angebot, sie für 200 Pesos dabei zu begleiten, können wir unmöglich ausschlagen.

 

Sofern es möglich sein wird, mit der kleinen Lancha nahe genug an das schroffe Ufer der Vogelinsel zu erreichen, werden wir sogar die Möglichkeit bekommen, einen Fuß darauf zu setzen und die Vögel noch etwas näher filmen zu können.

 

Das Einziehen des neunhundert (!) Meter langen Fischernetzes erstreckt sich über beinahe eine dreiviertel Stunde und wird von der Gesellschaft von Pelikanen begleitet, die sich rund um die Lancha versammeln und geduldig auf den einen oder anderen Happen warten, der ihnen von den Fischern zugeworfen wird.

 

Die Fischer sind zufrieden mit ihrem Fang und wir starten in Richtung der Vogelinsel.

 

Die Vogelinsel

Obwohl das Manövrieren des Fischerbootes zur Routine gehört ist es dennoch nicht einfach, sich zwischen den schroffen Steinen, die der Insel vorgelagert sind, zu bewegen und sich so weit anzunähern, dass wir mit unserer Ausrüstung sicher aussteigen können, doch schließlich schaffen wir es doch, unsere Beine auf die Insel zu setzen. 

Wir schaffen es schließlich, doch schon zeigt sich die nächste Herausforderung.

Von hier aus gesehen sieht es beinahe unmöglich, ganz nach oben zu gelangen, denn die Felswand die sich vor uns ausbreitet ist beinahe vertikal.

 

Eduardo will es dennoch versuchen.

Mir wird etwas bange als er die ersten Meter nach oben klettert, die Wand ist wirklich steil und sein Rucksack mit der Kameraausrüstung wiegt immerhin rund zehn Kilogramm.

 

Die Nester erstrecken sich bis in den vertikalen Bereich der Insel, wo die Vögel zwischen dem üppigen Gestrüpp der Nopales ihre Jungen versorgen und während Eduardo sich Meter für Meter hocharbeitet, schieße ich die ersten Fotos und mache Aufnahmen.

 

Er schafft es schließlich nach oben, was für mich die Frage aufwirft, ob es sich denn gelohnt habe.

 

Ja! Es hat sich gelohnt – für mich der Impuls, dass ich das auch schaffen möchte.

 

 

 

Mit der Kamera um den Hals mache ich mich auf den Weg nach oben.

 

Den Anfang schaffe ich ganz gut, das Gestein ist fest, allerdings sehr brüchig. Als ich zwischendurch einen Blick nach unten werfe, wird mir klar, wie verrückt ich eigentlich bin.

 

Die letzten Meter gestalten sich dann etwas schwieriger, da das Gestein hier dicht mit Gras bewachsen ist, doch schon streckt sich mir Eduardos Hand von oben entgegen und ich bekomme wieder etwas festeren Boden unter die Füße.

 

 

Wow! Es ist unglaublich hier!

 

Ein Nest drängt sich an das nächste, dichtgedrängt sitzen die kleinen Jungvögel zwischen stacheligen Nopales und füllen die Luft mit ihrem aufgeregten Piepen um Aufmerksamkeit.

 

 

Hauptsächlich sind es Prachtfregatvögel, die ihre Jungen hier großziehen, daneben gibt es aber auch viele Nester von Kuhreihern und Pelikanen.

 

 

Meine Gefühle sind irgendwo zwischen absoluter Faszination und Demut angesiedelt, aber abgesehen davon fühlen wir uns beide zugegebenermaßen so, als hätten wir ungefragt ein fremdes Haus betreten.

 

Und wie es Eindringlingen eben so ergeht, bleibt auch keiner unserer Schritte und Bewegungen unbeobachtet.

 

 

"Die Vögel"

Je länger wir uns hier aufhalten, umso mehr wird mir klar, dass WIR hier eigentlich gar nichts verloren haben.

 

Und warum fallen mir plötzlich diese grausigen Filmszenen aus Hitchkock`s "Die Vögel" ein?

 

 

 

Meine anfängliche Euphorie kommt dann doch relativ rasch ins Schwanken, als wir feststellen, dass der Vogelschwarm über unseren Köpfen nicht nur zunimmt, sondern auch einen immer geringeren Abstand bekommt und die ersten Geschosse in Form von Vogelkot auf uns herabzuprasseln beginnen sind Eduardo und ich uns einig:

 

wir sollten so schnell wie möglich hier verschwinden!

 

  

Erst jetzt wird mir klar, dass es doch etwas leichter war, von unten nach oben zu gelangen, denn es ist unmöglich, eine senkrechte Wand von oben zu überblicken.

 

Ich kann nicht leugnen, dass mir mulmig zumute ist, zumal mir klar ist, dass ich und wir keine Option haben, denn aufgrund der dichten Bewachsung der Insel mit stacheligen Nopales ist die Wand der einzige Ort, um wieder nach unten zu gelangen.

 

 

Eduardo nimmt mir meine schwere Kamera ab, verstaut sie in seinem Rucksack, beginnt den schwierigen Abstieg.

 

Einen Meter nach ihm, setze ich, unter seiner Anleitung, meine Füße in den uneinsichtigen Felsen unter mir.

 

Gemeinsam und mit unserer vollen Aufmerksamkeit auf jedem unserer Tritte schaffen wir dann den Abstieg und gelangen wieder gesund an Bord unseres kleinen Fischertaxis.

 

 

 

Ende gut, alles gut

Während sich die drei Fischer den neuesten Tratsch aus ihrem kleinen Dorf erzählen, kleben unsere Blicke immer noch auf der sich langsam entfernenden Vogelinsel.

 

 

 

Schließlich treffen sich Eduardos und meine Blicke.

"Lissi, das ist einfach total verrückt, was wir da gemacht haben....!"

 

Ja, in mehrfacher Hinsicht war es nicht ganz ungefährlich, denn unabhängig von der Kletterei frage ich mich, was passieren hätte können, hätte sich die Stimmung dort oben plötzlich gegen uns gerichtet?

 

Das wurde uns auch im Nachhinein noch bewusster, als wir unsere Fotos und Filmaufnahmen ansahen und feststellten, dass die Anzahl der Vögel über unseren Köpfen während unseres Aufenthaltes nicht nur zugenommen hatte, sondern sich auch der Abstand verringerte, den die Vögel zu uns anfangs hatten.

 

Die Natur zeigt in vielen Situationen ihre Stärke und lässt uns Menschen ganz klein werden.


Die Insel der Vögel entlässt uns zum Glück wohlbehalten, mit einer Handvoll wundervoller Aufnahmen von einzigartigen und zauberhaften Geschöpfen unserer Natur. 

Wir werden sie sorgfältig zu einer filmischen Dokumentation zusammenfassen, das ist das, was wir diesem kleinen Naturjuwel zurückgeben wollen.

 

In Demut und Dankbarkeit für dieses unglaublich schöne Erlebnis.

 

 

 

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